#8 Lean Leadership - die Auswirkungen von Lean Construction auf die Personalführung
Katharina Obrist zeigt anhand aktueller Studien auf, dass Lean Leadership die Baubranche positiv verändern kann.
Lean Management + Lean Leadership = Lean Construction ^
In dieser Podcast-Episode geht es um Lean Management in der Bauindustrie und vor Allem um die Veränderungen im Personal Management, die damit einhergehen. Bei mir zu Gast ist Katharina Obrist. Sie hat sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt und berichtet über Lean Leadership. Dabei spricht sie über die Herausforderungen und Chancen von Teambildung und Individualismus als Gegenpol zur Firmenhierarchie. Mein Name ist Christian Huber und ich freue mich sehr auf das Gespräch. Katharina, seit einigen wenigen Jahren erfreut sich Lean Management mitunter auch in der Bauindustrie zunehmender Beliebtheit. Doch was genau verbirgt sich eigentlich hinter diesem Begriff?
Bei Lean Management handelt es sich grundsätzlich um ein sehr weitläufiges Thema, das dessen Ursprung Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts im Produktionssystem des berühmten Automobilherstellers Toyota findet. Gemäß Liker, dem Präsidenten der Liker Lean Advisors, liegt der Fokus darin, jegliche an Unternehmen geknüpfte Abläufe dahingehend zu optimieren, dass Verschwendungen minimiert, ein reibungsloser Ablauf garantiert und der Firmengewinn maximiert werden (Liker, 2004). Dieses gewinnversprechende Konzept wurde in weiterer Folge als Lean Construction auf die Bauindustrie übertragen und entsprechend angepasst. Tatsächlich umfasst Lean Construction ein klares Bündel an Zielen, welches für einen funktionierenden Lieferprozess und einer optimalen Unternehmensperformance von höchster Wichtigkeit ist: Beginnend bei dem Design bis hin zur Fertigstellung des Projekts. Die verbesserte Vermittlung von Werten und das Erreichen realer Profite stehen hierbei im Mittelpunkt. Demnach können mithilfe leangestützter Werkzeuge – dieser Ansicht sind die Autoren Aziz und Hafez – sowohl einfache als auch komplexe Projekt einwandfrei koordiniert, fristgerecht fertiggestellt und kostenärmer sowie qualitativ hochwertig ausgeführt werden (Aziz & Hafez, 2013).
Das klingt sehr vielversprechend und stellt wohl eine bedeutende Innovation im Bausektor dar. Worauf ist dieser Wandel deines Erachtens primär zurückzuführen?
Tatsächlich gestaltet es sich für Unternehmen aufgrund der ständig fortschreitenden Globalisierung zunehmend schwieriger, den dadurch hervorgerufenen Veränderungen gerecht zu werden und somit konkurrenzfähig zu bleiben. Wie die Autoren Binniger et al. aufzeigen, stellt die wachsende Komplexität in nahezu jeder Branche eine ernst zu nehmende Herausforderung dar, so auch in der Bauindustrie. Dort scheint zurzeit einzig und allein die Hervorbringung ökonomisch nachhaltiger Lösungen sowie die Umsetzung derselben eine Steigerung der Attraktivität am Markt herbeiführen zu können. Damit dies jedoch gelingt, müssen zeitverschwenderische und überflüssige Tätigkeiten weitestgehend reduziert, ja bestenfalls gänzlich eliminiert werden. Dies jedoch hat zur Folge, dass insbesondere Klein- und Mittelunternehmen großem Druck ausgesetzt sind. Der Grund hierfür liegt nicht zuletzt darin, dass die Baubranche von einer Vielzahl unterschiedlicher Prozesse gekennzeichnet ist und die Steuerung derselben nur durch hohen Aufwand bewältigt werden kann (Binninger et al., 2018).
Lean Prinzipien ^
Wie du in deiner Forschungsarbeit aufzeigst, spielt das Personalmanagement hierbei eine wesentliche Rolle. Sie beschäftigt sich damit, die Lean Prinzipien zu erkennen, sie umzusetzen und die damit verbundenen Vorteile zu realisieren.
Ganz genau! Bei der Personalführung im Lean Management spricht man von Lean Leadership. Die Führungskraft im Lean Construction ist von einer bestimmten Verhaltenskultur gekennzeichnet, die dank essenzieller Kompetenzen die dem Lean Leadership zugrunde liegende Philosophie versteht und auszuführen weiß. Im wissenschaftlichen Artikel von Nesensohn wird betont, dass diese klare Vision vom Ziel des Lean Construction stets vor Augen geführt werden muss, sodass notwendige Veränderungen akzeptiert und ein systematisches, wissenschaftliches Denken umgesetzt wird (Nesensohn et al., 2014).
Wissenschaftliches Denken und Handeln wird in der Regel mit einer höheren Qualifikation in Verbindung gesetzt. Ist dies auch bei der Führungskraft im Lean Leadership voraussetzend oder welche anderen Aspekte sind dabei besonders relevant?
Nach Auffassung von Seidel et al. ist der Reifegrad der Führungskraft in Bezug auf Lean Management und Lean Leadership ausschlaggebend. Denn je mehr Erfahrungen bereits gesammelt werden konnten, desto eher und schneller gelingt es, Probleme mithilfe wissenschaftlicher Methoden zu lösen (Seidel et al., 2017). Trenkners dahingehende Untersuchungen bestätigen diese Annahme. Wie sich herausstellte, sollte eine Führungskraft im Idealfall eine Erfahrung von über fünf Jahren aufweisen und dadurch für die Annahme neuer Herausforderungen und Challenges gerüstet sein (Trenkner, 2016). Hinsichtlich der Ausbildung teilen sich indes die Meinungen. Während Seidel von deren Wichtigkeit überzeugt ist, ist Orr der Meinung, dass die Führungskraft im Lean Management nicht zwingend vom Top- oder Seniormanagement abstammen muss, denn auch einfache Mitarbeiter oder Mitarbeitervertreter seien in der Lage, diese Position einzunehmen. Auf diese Weise könnte man die Bauindustrie mit der richtigen Unterstützung radikal verbessern. Die Umsetzung jedoch ist in erster Linie von der Transformation und dem Verhalten des Individuums abhängig, weshalb hier bei der Gleichstellung der Dienstnehmern, Führungspersonen und nicht zuletzt der übrigen Stakeholder begonnen werden muss. Dies ist auch der Grund, weshalb Orr denkt, dass die herkömmliche Unternehmenspyramide mit der Führungsperson an der Spitze im Lean Leadership auf dem Kopf gestellt werden muss. Die Führungsperson habe die Aufgabe ihren Dienstnehmern beizustehen, sie zu motivieren und somit langfristige Ziele zu erreichen (Orr, 2005).
Lean Leadership = Teambuilding + Individualismus ^
Im Lean Leadership wird das traditionelle Firmenorganigramm also durch eine hierarchische Gleichstellung ersetzt. Teambuilding und Individualismus stehen im Vordergrund.Führt dies auf Dauer nicht zu Konfrontationen?
Nicht unbedingt. Die Autoren Dombrowski et al. beschreiben, dass eine gute Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern und Führungskräften das Erreichen des gemeinsamen Zieles, das Unternehmen zu perfektionieren, fördern. Zur praktischen Realisierung bedarf es einer Veränderung in der täglichen Kooperation zwischen den beiden Parteien. Aufgrund der Tatsache, dass die Führungskraft stets ein Vorbild für Dienstnehmer verkörpert, ist deren Selbstentwicklung umso wichtiger. De facto, sind neue Methoden zur spezifischen Anwendung für Lean Construction unerlässlich, wobei in diesem Kontext ein überzeugendes Management mit Coaching und Mentoring Funktionen von höchster Notwendigkeit ist (Dombrowski & Mielke, 2013). Trenkner argumentiert, dass die eindeutige Vermittlung der Unternehmenswerte, eine kooperative Arbeitsweise und ein aktiver Austausch mit anderen Führungskräften die Hervorbringung einer optimalen Personalführung begünstigen, wodurch eine Kultur langfristiger Verbesserung, Weiterentwicklung und Qualifikation stets vorangetrieben werden kann (Trenkner, 2016). Koskela et al. unterstreichen dabei, dass Training zwar ausschlaggebend ist, aber allein nicht ausreicht, um Erfolg zu garantieren. Coaching vonseiten der Führungskraft wird benötigt, um aus an einem Projekt zusammen arbeitenden Menschen ein starkes Team zu bilden und daraus ein funktionierendes System abzuleiten (Koskela et al., 2002).
Kommunikation als Schlüssel zum Erfolg ^
Wie in so vielen Bereichen des Projektmanagements stellt auch hier eine funktionierende Kommunikation den Schlüssel zum Erfolg dar.
Ja, denn zur idealen Umsetzung der erforderlichen Veränderungen soll Koskela et al. zufolge im Lean Leadership eine stetige Absicht kommuniziert werden. Es geht darum, das neue Verhalten zu demonstrieren, Aktionen hervorzurufen und das Personal sowie auch andere Personen dazu anzuspornen, neue Dinge auszuprobieren. Es liegt auf der Hand, dass diese nicht immer von Beginn an einwandfrei funktionieren, allerdings kann aus Fehlern gelernt werden, was dazu ermutigen soll, weiterzumachen und an sich zu glauben. Daher tragen ein Lob oder eine kleine Belohnung bei erfolgreichem Gelingen dazu bei, sich als Führungskraft Glaubwürdigkeit und Vertrauen zu schaffen (Koskela et al., 2002)
Daraus lässt sich somit der Schluss ziehen, dass sich Lean Leadership erst infolge eines langwierigen Prozesses herauskristallisiert. Doch welche direkten Auswirkungen auf die Unternehmensperformance bringt lean-gestütztes Personalmanagement mit sich?
Zu dieser Frage gibt es eine spannende Studie von Bonavia und Marin-Garcia, die im Rahmen einer Studie die Integration von Personalmanagement in Lean Production in Spanien untersucht haben. In Zusammenarbeit mit dem Verband spanischer Hersteller von keramischen Fliesen und anderen Experten aus dieser Branche arbeiteten sie einen Fragebogen aus, der die Umsetzung der Leanprinzipien auf das Personalwesen widerspiegeln sollte. Gegenstand der Forschung war primär, ob Lean Production von gezielten Trainings, hoher Arbeitsplatzsicherheit, firmeninternen Aufstiegschancen, erfolgsabhängiger Entlohnung und damit von einer geringeren Fluktuations- und Fehlzeitenrate gekennzeichnet ist. Wie sich herausstellte, kommen gezielte Trainings und interne Aufstiegsmöglichkeiten nur bei einigen wenigen Herstellern vor, haben jedoch deutlich positive Auswirkungen auf die Firmenperformance und damit beispielsweise auf die Bestandsreduzierung und die Produktivitätssteigerung. Ähnlich verhält es sich mit Arbeitsplatzsicherheit, wobei diese hingegen in den meisten Unternehmen vorhanden ist. Daraus lässt sich Bonavia und Marin-Garcia zufolge schlussfolgern, dass Trainings und Arbeitssicherheit die Mindestvoraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung der Lean Prinzipien darstellen (Bonavia & Marin-Garcia, 2011).
Fazit ^
Diese Studie macht die Auswirkungen des Personalmanagements auf den Erfolg eines Unternehmens nochmals deutlich. Was ist dein persönliches Fazit?
Ich möchte unterstreichen, dass das Personalmanagement in der Baubranche von besonders hoher Wichtigkeit ist, zumal dessen Qualität sehr viele Sachverhalte beeinflusst. Nach Forschungsergebnissen von Wilkinson et al. haben etwa schlechte Arbeitsbedingungen nicht nur negative Auswirkungen auf die Beschaffenheit des Endproduktes, sondern darüber hinaus auch auf das Innovationspotential, die Einhaltung der Fertigstellung und dem Ruf des Unternehmens selbst. Laufende Debatten über Gehaltskürzungen, Gesundheit, Arbeitssicherheit und die Anstellung von Migranten fliesen hier wesentlich mit ein. All dies nimmt erheblichen Einfluss darauf, inwieweit ein Unternehmen letzten Endes sein eigentliches Ziel erfüllt und es schafft, die Anforderungen und Bedürfnisse der Kunden zur Gänze zu erfüllen. Nur auf diese Weise kann ein Unternehmen dessen Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität beibehalten. Daher sollte der Fokus umso mehr auf das Wohlbefinden der Mitarbeiter und einem davon beeinflussten reibungslosen Ablauf gelegt werden (Wilkinson et al., 2012). Wie Koskela et al. richtig auf den Punkt bringen, ist Lean Leadership ergo kein programmierbarer Weg oder ein einmalig zu lösendes Problem, sondern stellt viel mehr eine andere Art zu denken und zu rationalisieren dar, die aus der Theorie eine disziplinierte Praxis schaffen soll (Koskela et al., 2002).
Outro ^
Katharina, ganz herzlich Dank für deinen Überblick der aktuellen Forschungsergebnisse und der Literatur zu den Auswirkungen, die Lean Construction auf die Personalführung haben kann. Danke auf für dein Fazit. Das war die Podcast Episode zu Lean Leadership mit Katharina Obrist und Christian Huber.
Literaturverzeichnis ^
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Aziz, F. R., & Hafez, S. M., 2013. "Applying lean thinking in construction and performance improvement". Alexandria Engineering Journal, 52: 679–695.
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Binninger, M., Dlouhy, J., Schneider, J., & Haghsheno, S., 2018. "Analysis of the activities of site and project managers - implications from the perspective of creating value". In Proc. 26th Annual Conference of the International. Group for Lean Construction (IGLC), V. A. González (Hrsg.), 337–347.
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Bonavia, T., & Marin-Garcia, J. A., 2011. "Integrating human resource management into lean production and their impact on organizational performance". International Journal of Manpower, 32(8): 923–938.
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Dombrowski, U., & Mielke, T., 2013. "Lean leadership - fundamental principles and their application". *Procedia Cirp", 7: 569–574.
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Koskela, L., Howell, G., Ballard, G., & Tommelein, I., 2002. "The foundations of lean construction". Design and construction: Building in value, 291: 211–226.
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Liker, J. K., 2004. "Toyota way: 14 management principles from the world’s greatest manufacturer". McGraw-Hill Education.
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Nesensohn, C., Bryde, D., Ochieng, E., Fearon, D., & Hackett, V., 2014. "Assessing lean construction maturity". Proceedings of IGLC-22, June.
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Orr, C., 2005. "Lean leadership in construction". 13th International Group for Lean Construction Conference: Proceedings: 345–351.
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Seidel, A., Saurin, T. A., Marodin, G. A., & Ribeiro, J. L. D., 2017. "Lean leadership competencies: a multi-method study". Management decision, 55(10): 2163–2180.
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Trenkner, M., 2016. "Implementation of lean leadership". Management, 20(2): 129–142.
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Wilkinson, A., Johnstone, S., & Townsend, K., 2012. "Changing patterns of human resource management in construction". *Construction Management and economics", 30(7): 507–512.
Alle Literaturangaben sowie die Zitate wurden von den jeweiligen Studierenden erstellt. Diese folgen keinem einheitlichen Regelwerk und sind nicht auf Mängel geprüft. Die Urheberschaft für die Interview-Texte liegt bei den jeweiligen Studierenden.